Zweiklassenmedizin

Dieser Begriff wird zuallermeist von Gegnern einer substantiellen, effektiven Reform des deutschen Gesundheitswesens verwendet. Oft in einem rhetorischen Kontext, der die Bezeichnung "Totschlagargumentation" zurecht verdient. Die Protagonisten solcher Argumentationslinien sind Reaktionäre in Reinstform, sie wollen die Zeichen der Zeit nicht sehen und stattdessen die Uhr anhalten.

Nach wie vor geht es um das große Thema des 20. Jahrhunderts: Sozialismus, Planwirtschaft und Diktatur versus Ungleichheit, Marktwirtschaft und Freiheit. Jedoch ist die Theorie des Sozialismus längst per "sozialem Großexperiment" widerlegt und die dialektische Synthese vollzogen: sie lautet "soziale Marktwirtschaft" und in keinem Fall "marktwirtschaftlicher Sozialismus" (wer´s noch nicht glauben kann: bitte sehr, Ihr habt noch ´ne letzte Chance: Cuba - aber dann ist Schluß, ok ?).

Die Warnung vor der Zweiklassenmedizin beinhaltet den Mythos einer aktuell bestehenden klassenlosen Gesellschaft im Bereich des Gesundheitswesens. Daß sich bei derartiger Argumentation sogar der Religionsbegründer Karl Marx im Grabe umdreht stört den Altlinken nicht. Nach Marx kann es innerhalb einer Klassengesellschaft selbstverständlich keine "klassenlosen Inseln" von der Größenordnung des deutschen Gesundheitswesens geben. Wo er Recht hat, hat er Recht.

Wir haben gegenwärtig tatsächlich eine, wenn man so will, "Zweiklassenmedizin" mit zwei großen Gruppen von Versicherten: den Kassenpatienten und den Privatpatienten. Eigentlich ist dieser Zusammenhang den meisten Altlinken bewußt, nur drücken sie sich aus taktischen Gründen ziemlich unklar aus. Per "Totschlagargumentation" werden dann die logischen Brüche übertüncht.

Zum "Großen Sozialismusmythos" gehört der Glaube: die Qualität einer Dienstleistung könne sich auch langfristig unabhängig von ihrem Preis entwickeln. Nach dem Motto: das richtige Bewußtsein bestimme das Sein und seine Veräußerung - die erbrachte Leistung.

So könnte zwar kaum jemand Glauben gemacht werden, daß irgendein "profaner" Dienstleister, beispielsweise ein Handwerker, die Qualität seiner Leistung unabhängig von dem dafür erzielten Preis hochhält. Jedoch im "Großen Sozialismusmythos der unbegrenzten Erziehbarkeit und Formung des Menschen" , sind deshalb die Ärzte zu Halbgöttern erklärt: was auch immer für Normalsterbliche gültig sein mag, wir Ärzte stehen darüber. Damit der Blöff nicht auffliegt, und als Preis für die begehrte Rolle, sind wir Ärzte dazu verdammt, uns selber und die Patienten permanent anzulügen.

Um diesen gordischen Knoten endlich aufzulösen, sollte der Gesetzgeber ein Mindestmaß an medizinischem Versorgungsniveau, für das jeder verpflichtet ist sich zu versichern, eindeutig definieren. Alle gesetzlichen und privaten Versicherungen seien verpflichtet, jeden Bürger gleichermaßen, ohne Risikogewichtung oder Selektion für dieses Mindestniveau zu versichern. Daneben sollte jede Versicherung ein eigenes gefächertes und gestaffeltes Konzept von Zusatzleistungen, all ihren Versicherten, ebenfalls ohne Risikogewichtung oder Selektion, anbieten. Zusätzlich wäre dem Kunden die Möglichkeit zu schaffen, durch Aufzahlung einzelne Dienstleistungsangebote gezielt aufzuwerten.

Die psychodynamische Hemmnis zur Annahme dieses klaren Konzeptes, entspringt der dialektisch notwendigen Kehrseite des Halbgöttermythos: die unbewußte Kenntnis der Lüge bewirkt die Vermutung einer unbegrenzten ärztlichen Geldgier.

Was wirklich geschehen würde ist, daß durch eine kundenorientierte Liberalisierung des Gesundheitsmarktes, erstmalig eine Möglichkeit eröffnet würde, die Zweitklassigkeit der bundesdeutschen Kassenversorgung zu überwinden:

Zunächst hätte der Bürger individuell die Option, durch Zusatzversicherung oder Zuzahlung für sich und seine Familie, eine medizinische Versorgung auf Spitzenniveau durchzusetzen (sofern eine solche auf dem durch Fehlsteuerung und Dumping gequälten Gesundheitsmarkt noch erhältlich ist).

Danach geht's für den Sozialismusgläubigen an´s Eingemachte - denn es wird eine typische Dynamik freigesetzt: die hochpreisige Erfüllung von "Luxusbedürfnissen" wird jene Wertschöpfung erzeugen, welche die Niveauanhebung der Basisversorgung überhaupt erst ermöglicht.

Sollten wir uns nicht lieber erlauben Mythos und Glaube wieder authentisch auszuleben, um danach Fragen der Ökonomie und Sozialgestaltung wissenschaftlich zu beantworten? - Wir könnten uns eine Menge Leid und Ärger ersparen.



Peter Hach Allgemeinarzt
Johannesgasse 1 76275 Ettlingen
Tel.: 07243/54 111 Fax:.../541150
14. März 1999



Diskussionsbeiträge:

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Dr. Markus Oelschläger, Frauenarzt, Kirchengasse 4, 76275 Ettlingen, Tel.: 07243/79111, Fax:.../39557 (15.3.1999):

Sehr geehrter, lieber Herr Kollege Hach,

sie beschreiben mit vielen Worten und Begründungen was aus meiner Sicht in vielen anderen europäischen Ländern seit langem bereits "normal" ist im Gesundheitswesen. Ich denke, auch bei uns sollte jeder Patient verantwortlich sein für seine Gesundheit. Auch die Autoversicherung wird nach einer Basisversorgung, Vollkasko-, Teilkasko-, und entsprechender Eigenbeteiligung je nach Wunsch des Halters abgeschlossen. So sollte es auch in unserem künftigen Gesundheitssystem sein. Damit wären auf einen Schlag die ganzen Diskussionen und Finanzierungsfragen klar. Eine Zweiklassenmedizin wie Sie es beschriebe haben wäre zwar indirekt noch da, da die Eigenverantwortlichkeit des Patienten besteht, er jedoch irgendwann auch an persönliche finanzielle Grenzen der Versicherungsprämien stößt. Dennoch aus meiner Sicht ein ehrlicherer Weg, der uns Ärzten auch mehr Freiheit in Diagnostik und Therapie zugesteht.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen Ihr Markus Oelschläger





Dr. Richard Barabasch; Allgemeinarzt; Friedenstraße 26; 76461 Muggensturm; Tel.: 07222/95300; Fax: 953020 (in Auszügen/16.3.99) :

Lieber Peter,

Deine Ideen zur Zweiklassenmedizin wirken auf mich ideologisiert. Es sind nicht nur die Gegner der "substanziellen Reform des Gesundheitswesens", sondern schlicht und einfach wir Ärzte, die diesen Begriff "Zweiklassenmedizin" verwenden, weil wir ... gezwungen sind, einem Patienten, der kassenversichert ist, als Vertragsarzt, Leistungen vorzuenthalten,...

Insofern finde ich mich nicht in den Reihen von Reaktionären in Reinstform, wenn ich den Begriff Zweiklassenmedizin verwende und ich will auch nicht die Zeichen der Zeit nicht sehen oder gar die Uhr anhalten, sondern ich spreche von meiner ärztlichen Realität, wo ich einem gesetzlichen krankenversicherten Patienten etwas nicht aufschreiben darf, weil es mir als Kassenarzt verweigert wird vom Kostenträger Krankenkasse, was ich einem Privatpatienten durchaus verschreiben würde und auch real verordne....

Auch ich bin der Auffassung, daß Ärzte sich nie aus eigenem Antrieb - Ausnahmen bestätigen die Regel - zu Halbgöttern erklärt haben, sondern daß dies immer der Wunsch anderer, z.B. Patienten gewesen ist, der von außen an sie herangetragen worden ist. Sie, die Ärzte, müssen sich allerdings zum Vorwurf machen lassen, daß sie sich mit dieser Maskierung mitunter ganz schön wohlgefühlt haben, weil sie erkannten, daß es dabei etwas zu erhalten gab, wenn es auch nur ein äußerst brüchiges und auf dem jetzt äußerst verrückenden sandigen Grund gebautes Ideengespinst gewesen ist.

Was Du dem Gesetzgeber andienst, was er tun solle, läßt sich auf einer anderen m.E. höheren Ebene so ausdrücken: Gib jedem Menschen Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder was allemal er auch sei, seine ganz persönliche Verantwortung für seine Lebensweise und damit eben auch für seine Versicherungen und seine Krankheitsabsicherung zurück!...

Soviel meine spontane Meinung dazu.
Herzlichst Dein Richard

Der vollständige Diskussionsbeitrag von Dr. Richard Barabasch




 

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