Unabdingbarkeit der Schweigepflicht


Zum Abschluß beispielsweise einer privaten Krankenversicherung oder einer Lebensversicherung, muß die zu versichernde Person in aller Regel der Versicherung eine (üblicherweise kleingedruckte !) Ermächtigung mit folgendem (oder ähnlichem) Inhalt, unterschreiben:

"Ich ermächtige die XYZ-Versicherung alle Ärzte, Krankenhäuser und sonstige Krankenanstalten, bei denen ich in Behandlung war oder sein werde, sowie andere Personenversicherer und Behörden über meine Gesundheitsverhältnisse zu befragen."

Der Arzt erhält dann einen Fragebogen von der Versicherung, indem er aufgefordert wird, das Patientengeheimnis zu offenbaren und Auskunft zu geben:"wegen welchen Erkrankungen und Gesundheitsstörungen er den zu Versichernden bereits untersucht oder behandelt hat."

Wird dieser Fragebogen vom Arzt, beispielsweise aus ethischen Gründen, nicht beantwortet, kommt es sogar gelegentlich zur indirekten Nötigung des Arztes durch die Versicherung: Dem Arzt wird angedroht: falls er das Patientengeheimnis nicht offenbare, würde sein Patient nicht versichert werden; - oder, bei einer Befragung zu einem späteren Zeitpunkt entsprechend: würde sein Patient keine Leistungen von der Versicherung erhalten.

Aufgrund dieses Dilemmas, habe ich folgenden Patientenbrief verfaßt, den ich hiermit meinen Kollegen zum Abdruck und zur freien Verwendung anbiete:



Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient

nach reiflicher juristischer und ethischer Prüfung, bin ich zu dem Entschluß gelangt, Formular-Versicherungsfragebögen mit der Aufforderung: offenzulegen "wegen welchen Krankheiten oder Gesundheitsstörungen, ich Sie in den letzten Jahren untersucht oder behandelt habe"; in aller Regel nicht zu beantworten. Begründungen:

1.) Solche Fragebögen sind in dieser Form möglicherweise nicht zulässig: Beispielsweise werden hierin global auch Trivialerkrankungen abgefragt; diesbezüglich besteht keinerlei berechtigtes Interesse der Versicherung.

2.) Die Schweigepflichtentbindung Ihrerseits ist möglicherweise ungültig, da Sie ja keine andere Wahl haben. Noch nicht mal ein Ausweichen auf eine andere Versicherung wäre möglich, da meines Wissens alle Versicherungen ähnliche Fragebögen versenden.

3.) Ein berechtigtes Interesse der Versicherungsgesellschaft (oder des Kollektives der Versicherten) auf Offenlegung Ihres Patientengeheimnisses besteht nicht, da diese sich mittels einer gründlichen ärztlichen Untersuchung durch einen Vertragsarzt der Versicherung (einschließlich: Anamnese, Belastungs-EKG, Labor) ein deutlich besseres Bild Ihres Gesundheitszustandes machen könnte, als über derartige Fragebögen. Eine solche Vorgehensweise wäre unter dem Gesichtspunkt des Preis-Leistungs-Verhältnisses sogar günstiger.

4.) Fragebögen dieser Art hebeln die ärztliche Schweigepflicht, bzw. den Schutz des Patientengeheimnisses aus: Wäre jedem Patient bekannt, daß er in eine Situation kommen kann, in der er sich gezwungen sieht einen solchen Fragebogen zulassen zu müssen (Private Krankenversicherung, Lebensversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung werden nach heutigem Verständnis nicht mehr in jedem Fall als "Luxus" angesehen ), würde eine große Anzahl von Patienten sich entscheiden, ihrem Arzt nur das aus ihrer Sicht "Nötigste" mitzuteilen. Dies würde sicherlich in vielen Fällen, nicht unbedeutende gesundheitliche Gefahren, nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang liegt ja die eigentliche, unabdingbare Notwendigkeit der Schweigepflicht, begründet.

5.) Da das Vertrauen in die Wahrung des Patientengeheimnisses, eine sinnvolle ärztliche Arbeit überhaupt erst ermöglicht, mache ich von meinem Recht und meiner Pflicht Gebrauch, Fragebögen dieser Art nicht zu beantworten. Ihr persönliches Recht, meine ärztlichen Unterlagen einzusehen, und Ablichtungen von Befundausdrucken zu erhalten, bleibt davon unberührt.

6.) Last not least: könnte eine kriminelle Organisation, sofern sie über die Mittel verfügt eine Versicherung zu gründen (oder zu übernehmen), durch besonders günstige Scheinangebote an Informationen gelangen, die es ihr ermöglichen, gelinde gesagt: "Einfluß zu nehmen".


Mit freundlichen Grüßen

Peter Hach (Allgemeinarzt)
Johannesgasse 1 76275 Ettlingen
Tel.: 07243/54 111



Diskussion:

 
Dr. Michael B. v. Bakin (Allgemeinarzt) schrieb am 17.5.1999
Gnadenwaldplatz 9 81825 München Tel.: 089-3112747 Fax: 089-3118283
 

Sehr geehrter Herr Kollege Hach,

Ihren Brief über die notorische Mißhandlung der Schweigepflicht halte ich für sehr gut und sehr wichtig.
Sollte ein breites Publikum erreichen.

Mit freundlichen Grüßen

Besuchen Sie uns doch mal und legen sie diese Gedanken vielleicht im Diskussionsforum ab. (www.vv-bayern.de)

 

Anmerkung:
der nun Folgende Diskurs mit Herrn Wolfgang Mang, wurde von mir erst Anfang Januar 2005 veröffentlicht, - allerdings mit ungeschmälerter Aktualität:

Wolfgang Mang schrieb am 11.12.01

Sehr geehrter Herr Hach, sehr geehrter Dr. v. Bakin,

in dem Patientenbrief sehe ich allein den Versuch, sich einer "lästigen Pflicht" zu entledigen. Die Unlust, Versicherungsanfragen zu beantworten, hätte nicht mit soviel Beiwerk verpackt werden müssen, das bei näherer Betrachtung größtenteils ohnehin nicht haltbar ist.
Tatsache ist, dass die Versicherer in Deutschland und ihre Mitarbeiter sehr bewusst, sorgsam und verantwortungsvoll mit der Schweigepflicht umgehen. Immerhin stehen bei Verstößen strafrechtliche Konsequenzen an.
Fazit: Lassen Sie den Unsinn und sagen Sie Ihren Patienten ohne Umschweife den tatsächlichen Grund für die Verweigerung.

Wolfgang Mang, Holzmühler Str. 48, 66740 Saarlouis Tel.: 0631/123163

 

Peter Hach schrieb am 11.12.01

Sehr geehrter Herr Mang,

ganz so dick hätten Sie nicht auftragen brauchen: "...sehr bewusst, sorgsam und verantwortungsvoll...“ Darum geht es doch gar nicht.
Lesen Sie doch bitte sorgfältig und argumentieren Sie inhaltlich.
Unterstellung unlauterer Motive (Unlust) ist kein Ersatz für das Eingehen auf die Argumente des "Andersdenkenden".

Mit freundlichen Grüßen und frohes Fest

 

Wolfgang Mang schrieb am 12.12.01

Sehr geehrter Herr Hach,

Ihre Mail veranlasst mich, nun doch ausführlicher Stellung zu nehmen. Ich bin seit 16 Jahren im Underwriting tätig, mittlerweile in leitender Stellung. Dabei wurde ich auch Mitglied einiger Gremien in denen man sich über das Verhalten von Ärzten in Versicherungsangelegenheiten austauscht. Kollegen von Ihnen sind in der Regel mit zugegen, die nicht nur aus Versicherersicht kommentieren und diskutieren.

Für mich ist es kein Problem, mit einem "Andersdenkenden" in den argumentativen Clinch zu gehen. Vorauszuschicken ist, dass es in den letzten 20 Jahren nicht einen Fall gab, in dem eine Versicherungsgesellschaft oder ein Mitarbeiter der Versicherungsbranche wegen Verletzung der Schweigepflicht einem öffentlichen Verfahren ausgesetzt war. Es ist auch nicht bekannt, dass solch eine Thematik einmal in den Medien aufgetaucht wäre.

Zu Ihren Begründungen im Patientenbrief sei folgendes gesagt:

1) Wenn unsere "Fragebögen" nicht zulässig wären, gäbe es sie längst nicht mehr. Sie dürfen davon ausgehen, dass sich zahlreiche Juristen mit der Grundsätzlichkeit und dem Inhalt der Anfragen beschäftigt haben.

2) Es gilt das zu 1) Gesagte. Ihre Ausführungen sind reine Spekulation. Sie selbst drücken dies ja auch durch "...möglicherweise..." aus.

3) Hier wird belegt, dass Sie sich mit Grundlagen und Verfahren der Risikoprüfung nicht ausreichend beschäftigt haben. Empfehle, die Zeitschrift "Versicherungsmedizin" zu abonnieren und auch zu lesen. Veröffentlichungen über die versicherungsmedizinische Risikoprüfung finden sich aber auch in vielen anderen ärztlichen Fachzeitschriften. Das "berechtigte Interesse" der Versicherungsgesellschaft besteht darin, eine möglichst breite Informationsgrundlage für die Annahmeentscheidung zu schaffen. Gerade in schwierigen Fällen kann damit häufig besser im Interesse der Kunden/Patienten entschieden werden. Wesentliches Element ist die Anamnese. Da hilft es nicht, den zu Versichernden zu einem beliebigen Arzt zu schicken, der nur eine Momentaufnahme erstellen kann und nichts über die Vergangenheit des zu Untersuchenden weiss. Auf den letzten Satz einzugehen erübrigt sich. Jeder Kundige in der Risikoprüfung würde eine gegenteilige Aussage treffen und sie durch Zahlen untermauern können.

4) Ihre Aussage stellt für mich eine persönliche Interpretation dar, die sich aber in der Realität so nicht wieder findet. Sie tun so, als ob dem Patienten im Arztgespräch ein möglicher späterer Versicherungsabschluß in ständigem Bewusstsein wäre. Ich finde es widersinnig zu behaupten, ein Mensch, der den Arzt aufsucht um ein gesundheitliches Problem beheben zu lassen, wäre im Gedanken an einen ohne jeden Konkretisierungsgrad hinterlegten, theoretisch aber irgendwann denkbaren Versicherungsabschluß in seiner Mitteilsamkeit gehemmt. Haben Sie Zahlen aus einer repräsentativen Umfrage oder muss Ihre Darstellung im Sinne einer Inspiration gesehen werden?

5) Natürlich haben Sie das Recht, unsere "Fragebögen" nicht zu beantworten. Aller bislang gemachten Erfahrung nach wissen die Kunden – zumindest bei uns als Direktversicherer – sehr wohl, dass mit einer Antragstellung die Offenlegung der gesundheitlichen Vergangenheit verbunden ist. Sie beantworten ja auch die Gesundheitsfragen im Antragsformular. Einige Kollegen von Ihnen verlangen neben der im Antrag bereits enthaltenen Schweigepflichtsentbindung nochmals eine ausdrücklich auf ihre Person bezogene. Mir ist kein Fall bekannt in dem sich ein Antragsteller bzw. zu Versichernder hier verweigert hätte. Das besagt doch eigentlich alles. Im Übrigen ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, dass die Verweigerungshaltung Schadenersatzansprüche Ihrer Patienten Ihnen gegenüber zur Folge haben könnte. Wenn der Vertragsabschluss verzögert oder gar verhindert wird und sich dadurch für Ihren Patienten (der Leistungsfall könnte eingetreten sein) messbare finanzielle Verluste ergeben, sind Sie zum Ausgleich verpflichtet.

6) Hier zieht es einem die Socken aus. Wenn Sie so etwas suggerieren, sollten Sie sich zuerst einmal kundig machen, unter welchen Voraussetzungen ein Versicherer am deutschen Markt tätig werden kann. Hinzu kommt, dass Sie offenbar Ihre Patienten und die Öffentlichkeit weit unterschätzen. Wie lange glauben Sie würde es dauern, bis ein Verbraucherschützer, Presse, Fernsehen... einen unlauter arbeitenden Versicherer ins Kreuzfeuer nimmt?

Fazit: Was Sie Ihren Patienten und übers Internet auch einer breiten Öffentlichkeit vortragen, erscheint bei näherer Betrachtung an den Haaren herbeigezogen. Jedenfalls sind die Aussagen nicht belegbar. Könnte es sein, Sie spekulieren damit, dass sich dank Ihrer Autorität als Arzt Ihr Indignat auch in anderen Köpfen festsetzt? Bei oberflächlicher Sicht mag das sicher auch geschehen, ist aber nicht kritiklos hinnehmbar. Könnte es andererseits nicht doch sein, dass Sie nicht ernsthaft den Inhalt Ihrer Patienteninformation vertreten? In diesem Fall wäre meine Erstauslegung Ihrer Absichten (verdeckte Unlust zur Beantwortung der Anfragen) wieder zu präferieren.

Erstaunt bin ich über die Dürftigkeit der Anzahl von Diskussionsbeiträgen. Könnte es sein, dass nur genehme Respons veröffentlicht wird? Ich könnte mir aber auch andere Erklärungen vorstellen. Freuen würde ich mich, wenn Sie meine Mühe honorieren und den Beitrag dennoch im Internet hinzufügen. Gerne würde ich erfahren, was Andere dazu sagen möchten. Jedenfalls hat mich die Sache jetzt schon viel Zeit gekostet. Daher will ich mich auch nicht weiter äussern und den Schlusspunkt setzen.

Auch für Sie ein schönes Weihnachtsfest und erholsame Tage.
Mit freundlichen Grüssen

 

Peter Hach schrieb am 2.1.02

Sehr geehrter Herr Wolfgang Mang,

leider bin ich erst jetzt dazu gekommen Ihnen zu antworten. Ich kann an dieser Stelle leider auch nur ansatzweise auf ausgewählte Punkte eingehen.

 Offenbar haben Sie sich mit dem Thema der versicherungsmedizinischen Risikoprüfung, nebst angrenzenden Fragestellungen, viel ausführlicher befasst, als mir das bisher möglich war. Jedoch: manchmal sieht man vor lauter Bäumen keinen Wald mehr.

Dass das Interesse der Versicherungsgesellschaft sei, eine "möglichst breite Informationsgrundlage" für die Aufnahmeentscheidung zu schaffen, ist unter heutigen Rahmenbedingungen zutreffend. Ihrer Meinung nach gibt es hier anscheinend keine Grenzen?

Aus Interesse des Patienten (Kranken) sollte die Informationsgrundlage der Versicherungen gesetzlich möglichst eng gezogen sein. Sonst wird er ja womöglich nicht versichert (oder ansonsten zu höheren Preisen).

Der Gesunde (Nicht-Patient) hätte aus rein monetärischer Sicht theoretisch das Interesse, dass möglichst viele Informationen erhoben werden - umso günstiger wird sein Tarif.

Der Arzt hat das Interesse, dass seine, im vertraulichen Gespräch mit dem Patienten erhobenen Informationen geheim bleiben, und insbesondere nicht zur Risikobeurteilung herangezogen werden. - Damit sich der Patient in allen Fragen ohne Vorbehalt öffnen kann. (Nur so kann ich als Hausarzt eine ordentliche Arbeit abliefern)

Ich spreche primär in meinem eigenen Interesse als Arzt, und sekundär auch im Interesse der Patienten (Kranken).

Möglicherweise hilft ein Beispiel weiter, Ihnen deutlich zu machen, dass die Problematik nicht fiktiv ist: Gesetzt den Fall, ein guter Freund von Ihnen ruft sie morgen an, und berichtet von einem Selbstmordversuch am Vortag, den er offenbar schadlos überlebt hat. Es wäre wohl vernünftig ihm zu raten, dass er doch umgehend seinem Arzt davon berichten soll. (Eventuell könnte auf diesem Weg einem zweiten Versuch vorgebeugt werden)

Doch halt, Sie wissen dass ihr Freund sich über kurz oder lang Selbstständig machen will (dafür braucht er dann sicherlich eine Risikolebensversicherung). Wie werden Sie Ihren Freund davon überzeugen trotzdem zum Arzt zu gehen, und dadurch seine berufliche Zukunft zu gefährden?

Mit freundlichen Grüßen

 

Wolfgang Mang schrieb am 4.1.02

Sehr geehrter Herr Hach,

mir wird so langsam klar, wo Ihr eigentliches Problem liegt. Aus zeitlichen Gründen kann ich aber jetzt auch nur noch kurz auf einige Ihrer neueren Aussagen eingehen.

1. Natürlich gibt es für die Informationsbeschaffung der Versicherungsgesellschaften Grenzen, wie z.B. die aktuelle Diskussion um den Einbezug genetischer Tests zeigt. Grenzziehung nimmt bereits das Grundgesetz vor (Persönlichkeitsrecht). Sie reicht durch bis ins Versicherungsvertragsrecht und wird auch über die aktuelle Rechtsprechung mitbestimmt.

2. Bei einer Lebensversicherung handelt es sich um ein Individualversicherungsverhältnis, das ohne Abschlusszwang eingegangen wird. Der Versicherer ist ein Wirtschaftsunternehmen, das sich im Wettbewerb am Markt bewegt und daher erfolgreich auch im Sinne seiner Kunden (Überschussbeteiligung!) arbeiten soll. Die Versicherungen sind risikobezogen und daher auch von einer Risikoprüfung abhängig. Basis ist eine Wissensgleichheit zwischen den Geschäftspartnern. Hierauf gründet auch die Beitragskalkulation. Ziel der Risikoprüfung ist eine risikoadäquate Beitragsfestsetzung. Nur wenn sie gewährleistet ist, kann der Versicherer seine Leistungsversprechen auch dauerhaft erfüllen. So wie der Kunde hierauf vertraut, muss der Versicherer auf die Richtigkeit der Deklaration aller Gefahrenumstände, die die Höhe des übernommenen Risikos mitbestimmen, vertrauen.

Wenn Wissen seitens des Antragstellers und der von ihm beanspruchten Ärzte zurückgehalten wird, geht die Äquivalenz verloren. Dann gelingt je nach den Umständen nicht nur die Bestimmung des Risikos nicht sondern es besteht sogar die Gefahr der Gegenauslese. Damit ist gemeint, dass der Versicherungsinteressent etwa in Kenntnis einer stark lebensverkürzenden oder Berufsunfähigkeit hervorrufenden Krankheit gerade deswegen eine Versicherung abschliesst um zu erreichen, dass der Versicherer nach einer nur kurzen Beitragszahlungsphase bereits hohe Leistungen zu erbringen hat. Wenn in nennenswertem Masse Verträge unter falschen Voraussetzungen, sprich mit Falschangaben, zustande kommen, verschiebt sich das Verhältnis von Beitrags- zu Leistungsaufkommen ins Ungesunde. Konsequenz ist die, dass der Versicherer in wirtschaftliche Nöte gerät und die Versichertengemeinschaft die Zeche mitbezahlt. Informationsbeschaffung des Versicherers ist insofern ein Stück weit Selbstschutz.

3. Das berechtigte Interesse (ich hoffe, Sie sehen es inzwischen auch so) der Versicherungsgesellschaft ist aber Ihr Dilemma, und das Ihrer praktizierenden Kollegen. Wem aber wird die Arbeit schon leicht gemacht? Sicherlich entstehen manchmal Konflikte, die sogar an dem Punkt ankommen können wo sich der Arzt fragt ob er verpflichtungsgemäß der Versicherungsgesellschaft wahrheitsgemässe Angaben machen soll oder seinen Patienten behalten möchte. Diese Konflikte im Einzelfall sind aber nicht vermeidbar, es sei denn man ändert etwas am Prinzip der Personenversicherung. Vermutlich würde sie dann aber nicht mehr existieren können, mit verheerenden Folgen für die Volkswirtschaft.

4. Zu Ihrem Beispiel:
Wenn mein guter Freund akute Probleme hätte, die sogar sein Leben gefährden, dann würde ich sofort handeln und ihm die nötige Hilfe verschaffen. In so einem Fall tritt doch eine berufliche Zukunft extrem in den Hintergrund; ich würde noch nicht den Hauch eines Gedankens daran verschwenden. Selbst wenn mich jemand darauf hinweisen würde - was kümmert mich eine evtl. nicht mehr abschliessbare Versicherung wenn es um das Leben meines guten Freundes geht?? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sowohl Leute aus meinem als auch aus Ihrem Berufskreis da anders vorgehen würden. Also doch ein fiktives Beispiel! Im Übrigen kann je nach Lage des Falles bereits ein Jahr nach Suizidversuch eine Risikolebensversicherung abgeschlossen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein öffentliches Interesse an der mit Ihnen geführten Diskussion gibt. Seitens meiner Kolleginnen und Kollegen in der Versicherungsbranche bin ich mir da sehr sicher. Schliesslich geht es um Grundsatzfragen, die in unserer täglichen Arbeitspraxis immer wieder eine Rolle spielen. Daher möchte ich Sie um Einverständnis für eine Veröffentlichung in einschlägigen Fachmagazinen bitten.

Mit freundlichen Grüssen

 

Peter Hach schrieb am 9.1.2002

Sehr geehrter Herr Mang,

gerne gebe ich mein Einverständnis für eine Veröffentlichung unserer Diskussion. Für ein persönliches Exemplar der entsprechenden Publikation wäre ich dankbar. Nun zu unserem Diskurs:

1.: das beschriebene Beispiel: Selbstmordkandidat will nicht zum Arzt.
 Das Problem ist, dass Sie nicht wissen, ob ihr Freund noch akut gefährdet ist. Deswegen können sie keinen Arztkontakt „erzwingen". Ihr Freund selber kann seine Situation auch nur bedingt beurteilen, und müsste für ein „safety first, geh zum Arzt" überzeugt werden mit „das schadet nicht und kann dir nützen ". Wenn sein Einwand lauten würde „das schadet aber möglicherweise meiner beruflichen Zukunft ", wüssten Sie nicht, ob Ihr Argument „ Gesundheit geht vor" stark genug wäre.

2.: „Grenzen der Informationsbeschaffung"
 - hier diskutierten wir auf verschiedenen Ebenen: Sie verwiesen mich auf den politisch-rechtlichen Status quo. Meine Frage zielte aber auf Ihre eigene logisch-philosophische Beurteilung. Warum sollte aus diesem Blickwinkel betrachtet, die Durchbrechung der hausärztlichen Schweigepflicht unproblematisch sein, wenn gleichzeitig Gentests unzulässig sind? Welche Logik verbindet diese Standpunkte?

3.: „Basis ist eine Wissensgleichheit zwischen den Geschäftspartnern."
Das klingt griffig und positiv: WISSEN und GLEICHHEIT, das wird doch nichts Schlechtes sein!? Oder sollten wir doch mal bei George Orwell nachlesen - kann es sein, dass man im „Neusprech" nicht mehr „aushorchen", „überwachen", „verhören" sagt, sondern nur noch: „Wissensgleichheit herstellen"?

Meine Antithese hierzu:
Die „Verpflichtung zur Wissensgleichheit" führt in aller Regel, auf die eine oder andere Weise, zur Freiheitsberaubung des Schwächeren.

Wissensgleichheit ist in unserem Zusammenhang auch eine sehr einseitige Forderung: seit wann legt die Versicherung ihre Karten auf den Tisch: Kalkulationsgrundlagen, Statistiken, Gewinnerwartung im Einzelfall, etc?
Eine Menge seines versicherungsrelevanten Wissens wird auch der Patient der Versicherung nicht mitteilen - beispielsweise seine Zukunftspläne und seine Risikoverhaltensweisen. Wenn die Versicherung dieser Informationen habhaft werden könnte, würde sie diese sicherlich auch gerne verarbeiten (selbstverständlich nur im legalen Rahmen), oder? Wenn nein, warum nicht ? Wo also ist die logische (nicht die momentan legale) Grenze des Wissensdurstes der Versicherung?

Für die Gesellschaft wiederum stellt sich die Frage: müssen wir, wenn ja wie viel, Freiheit opfern, damit die Versicherungen arbeiten können? Wie sieht die Hierarchie der Freiheiten aus (wichtigere Freiheiten werden zuletzt geopfert)? Wo steht in dieser Hierarchie die ärztliche Schweigepflicht /das Patientengeheimnis?

4 „Verheerende Folgen für die Volkswirtschaft..."
Jetzt malen Sie mal den Teufel nicht an die Wand. Beim allgemeinen Verzicht auf den Bruch des Patientengeheimnisses würde keine Versicherungsgesellschaft Pleite gehen müssen. Es trifft ja alle Konkurrenten gleichermaßen. Notwendige Versicherungen würden auch weiterhin abgeschlossen werden. Die Versicherungen würden sich kalkulatorisch, wenn überhaupt, nur sehr geringfügig verteuern. Das Schreckgespenst der Legionen von Schwerkranken die sich jetzt teure Versicherungen erschleichen würden, entbehrt der Realitätsnähe. Dies wäre ja auch nach wie vor illegal.

 Was an Mehrkosten wirklich übrig bliebe, wäre der „Preis der Freiheit" den wir uns in unserem Gesellschaftssystem leisten sollten. Wofür eigentlich hätten Generationen von Freiheitskämpfern gelitten und ihr Blut gegeben - wenn wir, die Kinder und Kindeskinder nicht mal nen paar Euro für unsere eigene Freiheit (in diesem Fall: das Patientengeheimnis wahren zu dürfen) übrig haben?

Mit freundlichen Grüssen

 

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